Der See
Ich freue mich über Besuch, kommen sie rein und machen sie es sich bequem. Fühlen sie sich wie zu Hause... seit etlichen Jahren darf ich die psychiatrische Anstalt mein zu Hause nennen. Wo sie liegt ist mir nicht bekannt, denn an meine Einweisung kann ich mich nicht mehr erinnern...
Wollen sie einen Kaffee? Nein?
Wieso ich nun hier bin ist mir selbst nicht klar, ich kann mich nur noch an dieses schreckliche Ereignis erinnern. Damals im Wald... es war irgendwann im Dezember und ich war noch ein Kind. Ich ging- wie so oft in meinen Kindstagen- spazieren und überall war Schnee, es war wirklich eine wunderschöne Schneelandschaft und jeder Schritt machte mir riesigen Spaß: wie ich bei jedem Schritt fast bis zu den Knien im Schnee versank und die eisige Kälte des Schnees spürte- es war herrlich und ich kam mir vor wie in einem Traum. Doch sollte sich mein Traum bald in einen Albtraum verwandeln. In dieses schreckliche Grauen... kein Mensch kann sich solch ein Grauen vorstellen, wenn er es nicht mit eigenen Augen gesehen hat.
Nun gut... Ich ging also immer weiter, immer tiefer in den Wald hinein, versuchte die Schneeflocken zu fangen und plötzlich stand ich vor einem See. Wenn man die Farbe des Wassers außer Acht ließ, ein sehr schöner See- ein wirklich schöner See. Das Wasser des Sees war rubinrot, ja, dieser See war wirklich bis zum Rand mit diesem roten Wasser gefüllt. Erstaunt und geschockt zu gleich bemerkte ich, wie der Schnee am Rand des Sees schmolz. War das Wasser etwa warm? Ich hielt für einen Augenblick meine Hand hinein und spürte es warm und dickflüssig über meine Hand rinnen. Nun war ich überzeugt, das der Inhalt des Sees kein Wasser war. Mir kam der Gedanke das diese unheimlich rote Flüssigkeit Blut sein könnte, doch konnte ich mir dieses Phänomen nicht erklären. Am anderen Ende des Sees bemerkte ich ein Rohr woraus die Flüssigkeit sprudelte. Dieses Rohr war riesig... vielleicht kam es mir nur so groß vor, weil ich so klein war, doch in meinen Erinnerungen ist es riesig! Mächtig und groß. Doch neu scheint es auch nicht zu sein, denn es schien verrostet. So wie die Flüssigkeit aus dem Rohr hinausgeschossen kam, ist sprudeln das falsche Wort.
Wie ich mich in diesem Moment fühlte kann man nicht in Worte fassen. Vielleicht war ich überrascht, entsetzt, fasziniert von diesem Schauspiel oder alles in einem. Ein wirklich seltsames Gefühl...
Es sprudelte immer mehr Blut in den See und langsam lief es in bedenklicher Weise über den Rand des Sees hinaus, so das ich einen Schritt zurück weichen musste. Es wurde immer mehr und mehr und ich fragte mich, wo das Rohr wohl hinführen möge. Diesen Gedanken vergaß ich jedoch sofort wieder als ich etwas in dem See aufsteigen sah. Erst undefinierbar, dann sah ich, das es ein menschlicher Körper sein musste- blass und vermutlich blutleer. Dieser Körper war weiß und in dem roten See erschien der Leib wie ein wunderbares Kunstwerk. Interessant, wirklich sehr interessant. Ich war gefesselt von diesem Anblick, denn immer mehr Leichen stiegen auf und bei längerem Betrachten meinte ich sogar, einzelne Leichen erkennen zu können. Vor mir tauchte ein weiblicher Körper auf. Dies erkannte ich, da sich mir ein wunderschöner fester Busen offenbarte. Langsam tauchte auch der Rest des Körpers auf und ich nahm lange schwarze, mit Blut durchtränkte, Haare und starre blaue Augen war. Diese schönen Augen können nur einer Person gehören. Meiner Mutter! Dies war meine Mutter! Sie schwamm tot auf diesem See umher! Geschockt und entsetzt starrte ich weiter auf den See und sah einen männlichen Körper auftauchen. Diese behaarte Brust kam mir bekannt vor und als sich mir sein Gesicht zeigte, war ein Irrtum ausgeschlossen: Es war mein Vater! Was sollte das alles... Der Schock und die Angst saßen so tief, das ich nicht mal mehr schreien, geschweige denn mich bewegen konnte. Im nachhinein glaube ich, das ich für kurze Zeit im Eis festgefroren war. Nach und nach erkannte ich unter den vielen Körpern auch meinen Bruder, meine Schwester, Tanten, und diverse Freunde die ich in meinen Kindstagen die meinen nannte. Auf einmal rannte ich los, riss mich fort von diesem Ort. Nur noch weg von diesem schrecklichen Schauspiel, diesem schrecklich fesselnden Schauspiel! Ich rannte und rannte immer schneller. Des öfteren fiel ich hin- spürte jedoch keinen Schmerz. Ich rannte, als ob es um mein Leben ging. Vielleicht ging es damals ja um mein Leben... wer kann das heute schon sagen? Ich rannte und rannte... durch eine wunderschöne Schneelandschaft, die ein blutiges Geheimnis beheimatete. Von da an endet meine Erinnerung und nun bin ich hier.
Und sie wollen wirklich keinen Kaffe? Einen Keks vielleicht? Sie entschuldigen mich doch
einen Moment, man muss mir meine Medizin verabreichen... „Wehren sie sich nicht gegen die Spritzen: Wir wollen doch auch das sich ihre Selbstgespräche legen...“